S21 – eine Meinung

Ich mag Dieter Nuhr, diese Sympathie und persönliche Einstufung zum besten Kabarettisten Deutschlands hat er mit zwei Aussagen gewonnen. „Man darf eine eigene Meinung haben …. muss man aber nicht.“ […]

Ich mag Dieter Nuhr, diese Sympathie und persönliche Einstufung zum besten Kabarettisten Deutschlands hat er mit zwei Aussagen gewonnen.

„Man darf eine eigene Meinung haben …. muss man aber nicht.“ &
„Wenn man keine Ahnung hat – einfach mal Fresse halten.“

An diese beiden Grundsätze versuche ich mich zu halten, denn…

1. …ohne Wissen um die Hintergründe einer Sache kann man in einer Diskussion noch so eloquent sein, man wird verlieren – da gibt mir sogar Sunzi recht.
2. …wenn ich mich auf einen Disput einlasse will ich wissen worum es geht und auf der richtigen Seite stehen.
3. …mir ist einfach sehr viel unglaublich egal. Vegetarier essen kein Fleisch, ich mag kein Sushi – Leben und leben lassen – da kann ich tolerieren muss mich aber nicht damit befassen.

Um aber auf Punkt 1 und 2 bei weiteren Gesprächen mit Kollegen oder im Freundeskreis eine gebildete Meinung zu repräsentieren, habe ich mich nach den heutigen Ereignissen, nun mal informiert. Punkt 3 erledigte sich bei dem fanatischen Vorgehen der Demonstranten und Aktivisten, die dadurch mein Interesse weckten. Am Rande ein Filmtipp: Battle in Seattle der Film behandelt die Ausschreitungen zur WTO-Konferenz 1999; mit Woody Harrelson in einer genialen Rolle.

Betrachten wir mal das Projekt, welches in Stuttgart bis auf das Blut bekämpft wird:
Stuttgart 21 – Die Verlegung des Hauptbahnhofes unter die Erde und Umwandlung vom Kopf- zum Durchgangsbahnhof.

Zunächst ein paar Schlagworte und Zahlen:

Vision:
Verbesserung der ICE Trasse, an der Stuttgart angeschlossen bleibt. Durchfahrtzeiten werden verkürzt und der Durchsatz erhöht.

Projektplan:
Alter Bahnhof und ein paar Bäume weg machen, Loch graben, neuen Bahnhof her richten und ans Netz nehmen, Loch zu machen und neue größere Grünfläche anlegen. Dazu kommen noch Tunnels, Gleise und der Eisenbahnverkehr.

Termine:

  • Projektlaufzeit: 1988 – 2019 (tendenziell wird nach der Inbetriebnahme 2019 das Projekt noch nicht rum sein – hier habe ich aber keine Quellen gefunden bis wann die Nacharbeiten angesetzt sind)
  • Vorstellung der Öffentlichkeit: 1994
  • Kickoff: 1995 (mit der Unterzeichnung des Rahmenvertrags zwischen Bahn, Land und Staat)
  • Communications: seit 1998 existiert das Turmforum Stuttgart als über vier Etagen angelegte multimediale Ausstellung und informiert über das Projekt sowie die daraus resultierenden stadtplanerischen Möglichkeiten. Jährliche Kosten 900.000€. Das sind alleine für diese [sinnvolle] Aktion des Changemanagements 189 Mio€ sofern das Zentrum bis Bauabschluss bestehen bleibt. Wichtiger: Seit 12 Jahren gibt es dieses Forum, die Proteste erst seit diesem Jahr im großen Ausmaß.
  • Execution: 2010 – 2019
  • GoLive: 2019

Kosten:
4,1 Mrd€ + 1,45 Mrd€ geplanter Contingency; ingenieurmäßig gerundet =6 Mrd€ [Nachtrag: die offizielle Zahl sind wohl doch 7 Mrd€, macht mit Risikoreserve 8,5-9 Mrd. Euro]

Gelder werden aus den Kassen des Staats, des Landes, der Stadt und der Bahn bereit gestellt.

Und sonst?
Auf den ersten Blick sieht das doch gut aus. Aber ich will mich ja mal kritisch mit dem Projekt auseinander setzen. Also beginnen wir mit dem, was dem Schwaben am Herzen liegt – das Geld. Nehmen wir mal an, die o.g. Schätzung bezieht sich nur auf die kommende Kosten der Realisierung. 9 Mrd€[6 Mrd.] über knapp 10 Jahre Bauzeit sind 900 Mio im Jahr – von einem Accounter habe ich mal gelehrt 3 Mio gehen immer – der Mann sprach von Software – hier geht’s um echte Substanz, da wird der Faktor 300 schon OK sein. Doch hören wir mal nicht auf das alberne Verkäufergewäsch sondern nehmen eine bewährte Schätzmethode zur Hand um die Zahl zu überprüfen, den Vergleich:

Die 1,8 km und drei Stationen der Berliner U55 haben 700Mio gekostet.
Stuttgart 21 beinhaltet 33 km Tunnel, somit müsste das Projekt  knapp 13 Mrd. Euro kosten – ohne größeren Bahnhof oder Brücken…. [trotz der korrigierten 9 Mrd] Schnäppchenalarm!!

Die Gelder sind, bis auf die 1-2 Mrd, deren Herkunft noch nicht geklärt ist, genehmigt – wozu gibt es Rahmenverträge, da stehen solche Punkte drin. Das Geld ist also da oder wird in jedem Fall beschafft, deswegen ist der Faktor Geld meines Erachtens kein Thema. Geldfaktor: OK

Kommen wir zum Bahnhof selbst – altes Gebäude mit dem Charme einer JVA kommt weg, dafür entsteht ein moderner Bahnhof unter der Erde und über der Erde werden Grünflächen angelegt. Okay ein paar ältere Bäume sterben, machen aber Platz für neue junge Bäume und eben eine GRÖßERE Park-Anlage im innerstädtischen Bereich – wenn man in Ludwigshafen mit so einer Aktion doch nur mal die nun bald tote Innenstadt bereichern würde. Einem echten Naturfreund sollte bei solchen Plänen die Sonne im Herzen scheinen. Nicht zu vergessen, dass die neuen Grünflächen nachhaltig der Erhaltung des Juchtenkäfers helfen. Natur- & Ambientefaktor: OK

Seit Köln ist unser aller Interesse an unterirdische Bauunternehmungen größer geworden. Denn Tunnelarbeiten lassen, genau wie Erdwärme-Bohrungen, generell mal Häuser einstürzen. Der Stuttgarter Untergrund (also der Boden, nicht die Jungs von Robin Wood) ist dann auch noch ein ganz gemeiner. Dort gibt es Anhydrit – oder wie man es in einer seiner Verwendungsform besser kennt: Fliesenkleber. Auch gebräuchlich ist der Name Gips. Dieser „Gips“ hat die Eigenschaft bei Feuchte abzubinden und sich zu dehnen – dabei wird übrigens auch Wärme frei gesetzt. Ganz gefährlich für so eine Baustelle.
Ich stelle mir gerade vor wie in der Bauphase ein Handwerker eben mal um die Ecke pinkeln geht und ….. *BÄM* von einer Welle, nein Fontäne sich ausdehnenden, abbindenden, heißen Gips weg gespült wird. Dieser unkontrollierbare Geysir sprengt die Baustelle. Schießt durch jede Öffnung nach außen und verwandelt Stuttgart in einen beton-harten Block strahlend weißen Gips. Ohne über das Stuttgarts Standort-Problem im Kessel zu reden, dürfte diese Vorstellung eher im Sat1 TV-Event-Dreiteiler „Gibt’s ja nicht! – eine Statt erstarrt“ vorkommen.
Wozu gibt’s Ingenieure, die haben im Berliner Sand eine U-Bahn mit drei Stationen gebaut, da wird so ein bisschen Gips doch nicht so ein Problem sein. Wenn doch, fragt man eben bei den Kollegen die jene Tiefgaragen, S- und U-Bahnschächte gebaut haben, die nochmal tiefer als die geplanten S21-Maßnahmen liegen. Da kann man auch gleich mal wegen des Grund- und Mineralwasserschutzes anfragen. Technikfaktor: OK

Rechtlich ist das Projekt durch Stadt-, Land- und Bundestage genehmigt worden. Da wir zum Glück nicht in einer Plebiszitäre Demokratie leben und ein Volksentscheid mit dem Verstreichen der entsprechenden Fristen verstrichen sein dürfte, sollte juristisch der Bau wasserdicht sein. Rechtsfaktor: OK

Bleiben noch die Faktoren Denkmalschutz, Baulärm und … und … mir fällt kein dritter ein.

Da kann auch der Besuch von http://www.leben-in-stuttgart.de nicht weiter helfen. Immerhin weiß ich nun, dass keine IT-Studenten, Designer oder Menschen mit Augen unter den Gegnern sein können. Diese Homepage und der dargebotenen Inhalt unterstreichen meine bisherige Einschätzung der Gegner als bildungsfernen Menschen. Denn leider findet man kaum sachliche Informationen zum Thema.
Aber was erwartet man von Menschen, die Kinder und Babys bei einer illegalen Blockade nicht vor Wasserwerfern und Polizeiräumungen schützen – ein eigenes Thema das m.E. ein Abstrafung der verantwortlichen Eltern mit sich ziehen sollte. Die bei diesem Thema viel genannte Schüleraktion wurde übrigens mit dem Beginn des Polizeieinsatzes noch während der Auftaktkundgebung am Vormittag aufgelöst und war zu keiner Zeit im Schlosspark.

Besser strukturierte Informationen zum Thema S21 finden sich da schon eher unter http://www.das-neue-herz-europas.de/ der entsprechenden Pro- und Projekt-Seite.

Bei den „Neutrale“ Meinungen gibt es ansonsten gibt es viele Informationen bei Wikipedia und den Seiten der großen Nachrichtenmagazine, Zeitungen und Journalen.
Besonders Interessant sind auch die Informationen der Polizei Stuttgart und das Spezial des SWR.

[Da einige Recherchen das falsche oder veraltete Werte zu Tage brachten, werde ich einige Daten und Zahlen nach und nach korrigieren ]

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